Rechte von Minderjährigen in Gerichtsverfahren

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1. Prozessfähigkeit von Minderjährigen

Minderjährige unter 18 Jahren sind nach französischem Recht nicht prozessfähig. Sie müssen bei der Ausübung ihrer Rechte von ihren gesetzlichen Vertreter (in der Regel ihre Eltern) vertreten werden. Minderjährige müssen je nach Alter und Urteilsvermögen in alle Entscheidungen einbezogen werden, die sie betreffen und für sie von Belang sind.

2. Zugang zu geeigneten Verfahren

Für Minderjährige betreffende Fälle sind spezialisierte Fachkräfte, insbesondere spezialisierte Jugendrichter, zuständig. Das Jugendamt (Protection judiciaire de la jeunesse) sowie zugelassene Verbände können in Verfahren, an denen ein Minderjähriger beteiligt ist, intervenieren.

Laut Gesetz kann ein Minderjähriger in einen Rechtsstreit mit seinen Eltern eintreten. In diesem Fall kann eine unabhängige Person als Ad-hoc-Verwalter bestellt werden.

In Strafsachen haben Minderjährige das Recht, ohne Zustimmung der Eltern einen Rechtsbeistand zu konsultieren. Prozesskostenhilfe wird unentgeltlich gewährt. Rechtsanwälte gelten als erste Anlaufstelle für den Zugang zu Informationen und spielen in Bezug auf Minderjährige eine unterstützende und schützende Rolle. Sie können verlangen, dass ein Urteil in nichtöffentlicher Sitzung ergeht, dass ein Minderjähriger so positioniert wird, dass er keinen Sichtkontakt mit dem Beschuldigten hat, dass jedwede zusätzliche ärztliche Untersuchung durch eine Aktenprüfung ersetzt wird und dass bestimmte Ermittlungshandlungen (z. B. Gegenüberstellung) nicht stattfinden.

— Ist ein Minderjähriger Beklagter oder Verfahrensbeteiligter und wird eines seiner Rechte verletzt, so kann das Verfahren oder die Haft aufgehoben werden. Minderjährige (über 10 Jahre) können unter der Aufsicht besonders geschulter Fachkräfte in Einrichtungen, die Minderjährigen vorbehalten sind, in Gewahrsam genommen werden.

— Ist ein Minderjähriger Zeuge in einem Fall, so müssen Richter und Kriminalpolizeibeamte seine Schutzbedürftigkeit berücksichtigen. Minderjährige unter 16 Jahren müssen keinen Eid leisten.

— Minderjährigen, die Opfer sind, wird besonderer Schutz gewährt. Außerdem können Minderjährige, die Kläger in einem Zivilverfahren sind, Ersatz für erlittenen Schaden verlangen. Wenn der verurteilte Straftäter zahlungsunfähig ist, kann das Opfer eine Entschädigung von einem Garantiefonds für Opfer (je nach den Umständen)‚ der Zentralstelle für die Entschädigung von Kriminalitätsopfern (Commission d’indemnisation des victimes d’infractions – CIVI) und/oder dem Hilfsdienst für die Entschädigung von Opfern von Straftaten (Service d‘Aide au Recouvrement des Victimes d‘Infractions – SARVI) erhalten.

In Zivilsachen müssen Minderjährige im Allgemeinen von ihrem gesetzlichen Vertreter vertreten werden. Bei einem Interessenkonflikt zwischen einem Minderjährigen und seinen Eltern wird ein Verwalter bestellt. Die Eltern haben 15 Tage Zeit, Widerspruch gegen die Bestellung eines Verwalters einzulegen.

In bestimmten Fällen sieht das Gesetz ausdrücklich vor, dass Minderjährige im eigenen Namen handeln können (insbesondere bei einer Gefährdung im Hinblick auf pädagogische Unterstützung, bei Anträgen auf eidesstattliche Versicherung zur Feststellung der Abstammung, bei Anträgen auf Volljährigerklärung und Anträgen auf Feststellung der Staatsangehörigkeit unbegleiteter ausländischer Minderjähriger).

3. Rechtsvorschriften und Maßnahmen zur Verkürzung der Fristen in Fällen, in denen Minderjährige betroffen sind

In Strafsachen kann der Staatsanwalt das sofortige Erscheinen des Minderjährigen vor dem Jugendgericht anordnen, um sicherzustellen, dass die Verhandlung innerhalb von 10 Tagen bis zwei Monaten stattfindet. Dieses Verfahren ist nur möglich, wenn eine Ermittlung des Sachverhalts aufgrund spezifischer Straftatbestände und in Anbetracht des Alters des Minderjährigen und der verhängten Strafe nicht mehr erforderlich ist. Darüber hinaus gestattet ein früheres Erscheinen dem Staatsanwalt, eine Verhandlung vor dem Jugendgericht innerhalb von einem bis drei Monaten anzuberaumen.

In Zivilsachen gibt es keine besondere Bestimmung zur Beschleunigung des erstinstanzlichen Verfahrens in Fällen, in denen Minderjährige betroffen sind; wird dagegen ein Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung des Jugendgerichts eingelegt, so sieht das Gesetz vor, dass der Fall vorrangig verhandelt wird.

4. Spezifische Mechanismen und Verfahren zur Unterstützung des Kindes und zum Wohl des Kindes

Dem Kindeswohl kommt in Gerichtsverfahren, an denen Kinder beteiligt sind, zentrale Bedeutung zu. Laut Gesetz müssen Richter ihre Entscheidungen auf die wesentlichen Kriterien des Kindeswohls stützen. Sie müssen die familiäre, soziale und wirtschaftliche Situation des Kindes und die von ihm geäußerten Ansichten berücksichtigen. Es gibt jedoch keine Protokolle oder Leitlinien, in denen das Wohl des Kindes definiert ist.

In Strafsachen wird die Justizbehörde von den regionalen Behörden benachrichtigt, wenn ein Minderjähriger tatsächlich oder mutmaßlich Opfer von Misshandlungen geworden ist. Ist der Minderjährige Opfer von sexuellem Missbrauch geworden, muss der Staatsanwalt den Jugendrichter unverzüglich informieren und um Hilfe bei der Rehabilitation ersuchen.

Die sich aus der Verschwiegenheitspflicht ergebenden Pflichten gelten nicht in Fällen des Missbrauchs oder der Deprivation von Minderjährigen. Für verschiedene Straftaten gegen Minderjährige gelten längere Verjährungsfristen, die erst zu laufen beginnen, wenn das Opfer volljährig geworden ist. Verhandlungen, an denen minderjährige Beschuldigte beteiligt sind, müssen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die Veröffentlichung des Inhalts der Verhandlungen ist verboten.

In Zivilsachen ist der Jugendrichter für die Rehabilitationshilfe zuständig, wenn ein Minderjähriger gefährdet ist. Darüber hinaus räumt das Zivilgesetzbuch den Familienrichtern, die «in besonderem Maße auf den Schutz des Kindeswohls achten» müssen, weitreichende Befugnisse ein.

5. Vollstreckung von Entscheidungen, die Minderjährige betreffen

In Strafsachen sind die Eltern und der Rechtsbeistand des Minderjährigen unmittelbar an der Durchführung von Maßnahmen beteiligt. In der Ermittlungsphase kann der Jugendrichter oder der Ermittlungsrichter eine Reihe von Maßnahmen anordnen (für Minderjährige zwischen 10 und 18 Jahren: Maßnahmen zur Unterbringung, Bewährungsmaßnahmen, Wiedergutmachung und Tagesaktivitäten; für Minderjährige zwischen 13 und 18 Jahren: Untersuchungshaft, gerichtliche Aufsicht und Hausarrest mittels elektronischer Überwachung).

Das Jugendgericht kann die Übergabe von Minderjährigen im Alter von 10 bis 18 Jahren an ihre Familie, Wiedergutmachung, Strafaussetzung zur Bewährung, Tagesaktivitäten, Maßnahmen zur Unterbringung oder gerichtliche Schutzmaßnahmen anordnen. Im Hinblick auf Minderjährige zwischen 13 und 18 Jahren kann das Gericht auch Ermahnungen oder Verwarnungen aussprechen sowie Wiedergutmachung, Tagesaktivitäten (bei Minderjährigen zwischen 16 und 18 Jahren kann dies gemeinnütziger Dienst sein), Bewährungsmaßnahmen oder gerichtliche Schutzmaßnahmen anordnen. Minderjährige zwischen 10 und 18 Jahren können mit folgenden Strafen belegt werden: Verbot, bestimmte Orte zu betreten oder bestimmte Personen zu treffen, Unterbringung und – als letztes Mittel für Minderjährige über 13 Jahre – Inhaftierung (im Jugendbereich eines Untersuchungsgefängnisses oder in einer Jugendanstalt, wobei spezialisierte Fachkräfte anwesend sein müssen).

In Zivilsachen sind Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, den Unterhalt oder den Schutz gefährdeter Minderjähriger sofort vollstreckbar. Je nach Urteilsvermögen des Minderjährigen müssen in den meisten Fällen die Eltern das Urteil vollstrecken. Im Falle eines Konflikts mit den Eltern und in Fällen, in denen ein Gericht noch keine Entscheidung in der Sache erlassen hat (z. B. durch Bestellung eines Vormunds), ist ein Verwalter für die Vollstreckung der Maßnahmen zum Wohl des Minderjährigen zuständig.

6. Adoption

Die Adoption ist in mehrere Phasen gegliedert: Einholung der Genehmigung, Auswahl der Adoptionspartner und Aufbau einer Verbindung zwischen dem Kind und dem Adoptierenden sowie das rechtliche Verfahren zur Begründung der Eltern-Kind-Beziehung. In Frankreich gibt es zwei Arten von Adoptionen: einfache Adoption (Beibehaltung der ursprünglichen Eltern-Kind-Beziehung) und Volladoption (nur für Kinder unter 15 Jahren; Ersetzung der ursprünglichen Eltern-Kind-Beziehung durch die Beziehung zu den Adoptiveltern).

In beiden Fällen ist das Landgericht (Tribunal de grande instance) zuständig, und die Adoption kann nur genehmigt werden, wenn sie dem Wohl des Minderjährigen dient. Minderjährige, die das 13. Lebensjahr vollendet haben, müssen ihrer Adoption zustimmen.

Kinderfreundliche Justiz in Frankreich (749 kB)  PDF (749 Kb) fr

Letzte Aktualisierung: 30/07/2020

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